Montaigne hat seine Essays nicht thematisch geordnet; sie stehen vielmehr
unverbunden hintereinander. Auch die Argumentation ist oft sprunghaft,
da es Montaigne weniger auf Systematik als vielmehr auf eine universale
Schau seiner Sicht auf die Welt und ihre Zusammenhänge ankommt. Montaigne
schildert einen ganzen Kosmos von sittlichen Betrachtungen. Für die Beantwortung
seiner oft moralischen Fragen kann er sich auf seine hervorragenden Kenntnisse
literarischer und philosophischer Schriften stützen. Gleichzeitig finden
sich zahlreiche Alltagsbeobachtungen und Skurrilitäten, die stets in übergeordnete
Zusammenhänge seiner dem Skeptizismus nahe stehenden Weltanschauung eingebunden
werden. Die Überschriften seiner Essays spiegeln bereits inhaltliche Programmpunkte:
Von der Eitelkeit, Über das Gewissen oder Von der Eitelkeit der Worte.
Nichts bleibt von seinen Beobachtungen ausgeschlossen; die Trunksucht wird
ebenso erörtert wie die Möglichkeiten der Kindererziehung. Für Montaigne
steht der ganze Mensch im Vordergrund. Erst durch die Betrachtung seines
Inneren und die dafür nötige Aufnahmebereitschaft kann er sich von allen
äußeren Widrigkeiten erholen und zu sich selbst finden. Gerade indem Montaigne
auf moralische Belehrungen verzichtet und an ihre Stelle seine persönlichen
Erfahrungen setzt, gewinnen seine Aussagen Überzeugungskraft und eine gleich
bleibende Aktualität. Indem er etwa seinen unzureichenden Stil, seine fehlende
Anmut der Darstellung beklagt, weist er auf die grundsätzliche Relativität
von Aussagen hin. Zu seinem selbst gewählten und oft zitierten Wahlspruch
wurde daher die Frage: >>Was weiß ich? Die Essais des Montaigne sind ein Buch ganz eigener Art. Seit ihrem Erscheinen 1580 haben sie nicht aufgehört, Generationen von Lesern zu beschäftigen, teils Widerspruch, teils Enthusiasmus hervorrufend.Montaigne erscheint bis in die eingestandenen Eitelkeiten hinein als vollkommen menschlich und vor allem ehrlich: er scheint nichts zu verbergen, er will sich nicht gelehrt geben, kein Philosoph sein, kein bedeutender Politiker. Er will sein eigenes, anspruchsloses Porträt vorlegen, und - und das ist eben das Neue an diesem Unternehmen - er tut dies nicht in der Form der Memoiren, des erinnerten Lebenslaufs, sondern in der Beschäftigung mit zahllosen, scheinbar willkürlich ausgewählten Gegenständen.